Retusche – eine Kunst, die älter ist als Photoshop

Wenn heute von Bildretusche die Rede ist, denken viele sofort an Photoshop. Kaum ein Begriff wird so sehr mit digitaler Nachbearbeitung verbunden. Aber die Wahrheit ist: Retusche ist fast so alt wie die Fotografie selbst. Schon im 19. Jahrhundert schrieben Fotografen Bücher darüber, wie man Gesichter „verbessert“ – von Hautunreinheiten bis zu kleinen Makeln wie Kropf oder Narben.

Retusche auf Glasplatten

In der Frühzeit der Fotografie wurden Bilder auf Glasplatten belichtet. Diese Negative hatten eine Emulsionsschicht, die sich mit feinsten Werkzeugen bearbeiten ließ. Retusche bedeutete, dass man mit Bleistift, Graphit oder feinen Pinseln direkt auf dem Negativ arbeitete. Kleine Unebenheiten konnten aufgehellt oder abgedunkelt werden, Haut wurde geglättet, Augenringe verschwanden.

Das erforderte nicht nur Geduld, sondern auch eine ruhige Hand. Spezielle Retuschegeräte mit beleuchtetem Tisch und Lupe halfen, jedes Detail zu sehen. Wer einmal eine solche Platte in Händen hatte, konnte die winzigen Graphitstriche tatsächlich mit bloßem Auge erkennen. Doch auf dem fertigen Abzug wirkten sie wie ein makelloses Gesicht.

Die goldene Zeit der Hollywood-Retusche

In den 1930er Jahren, als George Hurrell, Clarence Bull oder Laszlo Willinger die Stars inszenierten, war Retusche bereits fester Bestandteil des Arbeitsablaufs. Es hieß, Hurrell habe viele Schauspielerinnen sogar mit kaum oder gar keinem Make-up fotografiert – und die Feinarbeit anschließend direkt am Negativ erledigt.

Ein berühmtes Beispiel ist die Schauspielerin Joan Crawford. Ihre Abzüge von Hurrell zeigen eine Haut, die fast wie Porzellan wirkt. Dahinter stand stundenlange Feinarbeit eines Retuscheurs am Negativ – mit spitzem Bleistift und einem Glasstab. Heute würde man sagen: „Er hat die Poren weichgezeichnet.“ Nur dass es damals kein digitales Werkzeug gab, sondern geduldige Handarbeit.

Retusche als Kunstform – und Risiko

Wichtig ist: Retusche diente nicht dazu, Menschen „zu verändern“, sondern um das Bild so wirken zu lassen, wie es die Studios wünschten. Stars sollten makellos sein, größer als das Leben, frei von Alltäglichkeiten. Kleine Fältchen oder Augenringe hätten dem Mythos geschadet.

Doch was viele heute vergessen: Früher konnte man nicht einfach „zurückgehen“ oder „einen Schritt rückgängig machen“. Wenn die Retusche misslang, war das gesamte Negativ unbrauchbar – und mit ihm oft das einzige Bild einer langen Session. Filmrollen oder Speicherkarten mit hunderten Aufnahmen gab es nicht. Es wurden wenige Negative belichtet, jedes sorgfältig geplant. Ein falscher Strich mit dem Retuschebleistift bedeutete: Das Bild war verloren.

Genau darin lag die große Kunst. Retuscheure mussten nicht nur Geschick, sondern auch Mut haben. Denn jedes Ansetzen war endgültig.

Von der Glasplatte zum Computer

Mit den Jahrzehnten änderten sich die Techniken. Negative wurden auf Film aufgenommen, später Abzüge auf Papier bearbeitet. Man retuschierte mit Airbrush, Skalpell, sogar mit Farbe direkt auf der Fotografie. Erst in den 1980er Jahren kamen die ersten digitalen Systeme – und mit dem Siegeszug von Photoshop in den 1990ern begann eine neue Ära.

Heute ist es leichter: Wenn eine digitale Retusche nicht gelingt, beginnt man einfach von vorn. Aber auch wenn sich die Werkzeuge geändert haben – das Ziel ist gleich geblieben.

Warum das wichtig ist

Für uns bedeutet das: Wenn wir heute über „Retusche“ sprechen, dann knüpfen wir an eine Tradition an, die fast so alt ist wie die Fotografie selbst. Wir setzen sie bewusst ein – nicht um zu verfälschen, sondern um den Glamour und die Eleganz sichtbar zu machen, die in einem Bild steckt.

So, wie Hurrell einst mit Bleistift und Lupe am Glasnegativ saß, arbeiten wir heute mit digitalen Werkzeugen. Doch das Ziel ist dasselbe geblieben: Bilder zu schaffen, die nicht nur zeigen, wie jemand aussieht – sondern wie er oder sie gesehen werden möchte.